Die Legende des Guan Gong

Basics, Kultur & Geschichte
Guan Gong Statue
Von
Pascal Wu
Datum
14.10.2025
Lesezeit
4 minutes
Warum steht eine Statue in unserer Akademie? Guan Gong symbolisiert seit Jahrhunderten Loyalität, Stärke und Gerechtigkeit. Er ist Schutzpatron vieler Kungfu-Schulen und erinnert uns daran, dass wahre Kraft nicht im Sieg liegt, sondern in Disziplin, Geduld und innerem Wachstum.

Guan Gong – Der Geist der Loyalität, Stärke und Gerechtigkeit

Warum wir in der Akademie eine Statue ehren, bevor wir trainieren.

Wer unsere Akademie betritt, sieht ihn meist gleich: Eine Statue mit strenger Miene, langem Bart und rotem Gesicht. Einige verbeugen sich davor – andere fragen sich leise: „Warum eigentlich?“

Die Figur, die dort steht, ist Guan Gong – auch bekannt als Guānyǔ, Guāngung oder Guāndì – und er ist weit mehr als ein Stück Dekoration.

Guan Gong verkörpert Werte, die tief in der chinesischen Kultur verwurzelt sind. Und genau deshalb steht er in vielen traditionellen Kungfu-Schulen bis heute an einem besonderen Platz.

Viele Namen – eine Figur

Guan Gong ist eine historische Person, deren Geschichte so eindrucksvoll war, dass sie im Laufe der Jahrhunderte fast übermenschliche Züge annahm. Er war ein General in der Zeit der Drei Reiche, einer der dramatischsten Epochen der chinesischen Geschichte (ca. 220–280 n. Chr.). Als Kampfgefährte von Liú Bèi und Zhāng Fēi wurde er nicht nur für seine Kampfkraft berühmt, sondern vor allem für seine Loyalität, Disziplin und moralische Klarheit.

Schon zu Lebzeiten galt er als außergewöhnlich – nach seinem Tod wurde er über Generationen hinweg zum Symbol für Aufrichtigkeit, Loyalität und Mut erhoben. Aus dem Menschen Guānyǔ wurde der Gott Guāndì, der „Heilige des Krieges“.

Vom Krieger zum Geistigen Vorbild

Im Gegensatz zu westlichen Kriegsgöttern steht Guan Gong nicht für Aggression oder Eroberung, sondern für den gerechten, ehrenvollen Krieger. Er ist eine Figur, die uns daran erinnert, dass wahre Stärke nicht in der Gewalt liegt, sondern in der Kontrolle darüber.

In Tempeln, Läden, Polizeibüros und Kungfu-Schulen wird Guan Gong bis heute verehrt – nicht als religiöse Pflicht, sondern als geistiges Vorbild. Sein Bild hängt nicht nur, um gesehen zu werden – es soll uns sehen. Und uns prüfen:

Trainierst du mit echtem Herzen? Oder aus Ego? Willst du wachsen? Oder nur gewinnen?

kelvin zyteng MKcT4oUqGr0 unsplash

Verehrt von beiden Seiten – Polizei & Triaden

Was viele überrascht: Guangung ist sowohl Schutzpatron der Polizei als auch verehrt in den Reihen der Triaden, der chinesischen Untergrundorganisationen.

Wie passt das zusammen?

Beide Seiten berufen sich auf seine Werte: Treue, Mut, Loyalität – die Polizei als Symbol für Recht und Ordnung, die Triaden als Symbol für Zusammenhalt und Ehre innerhalb der eigenen Gruppe. In beiden Fällen wird Guan Gong nicht als moralischer Richter gesehen, sondern als Bindeglied zur Tradition und als moralisches Korrektiv innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft.

Das macht ihn zu einer vielschichtigen Figur – universell, widersprüchlich, aber immer bedeutungsvoll.

Guan Gong in der Kampfkunst

In traditionellen Kungfu-Schulen nimmt Guan Gong eine besondere Rolle ein. Er gilt als geistiger Schutzpatron, aber auch als Erinnerung an die Grundwerte der Kampfkunst:

Loyalität: zur Schule, zur Linie, zum eigenen Weg

Mut: nicht im Sinne von Angriff, sondern als innere Entschlossenheit

Ehre: im Verhalten, nicht im Sieg

Geduld & Selbstdisziplin: statt impulsivem Handeln

Wenn Schüler sich vor seiner Statue verbeugen, dann tun sie das nicht aus religiösem Zwang, sondern als Zeichen innerer Ausrichtung. Es ist ein Moment der Sammlung – vor dem Training, vor einer Partnerübung, oder auch einfach vor sich selbst.

In unserer Akademie steht seine Statue bewusst an einem ruhigen Platz. Es ist der Ort, an dem man kurz innehält, bevor man sich auf das Training einlässt. Für manche ist es einfach eine Geste – für andere ein stiller Dialog.

DSCF0128

Guan Gong im Löwentanz

Die Verehrung Guan Gongs findet sich nicht nur in Tempeln und Kungfu-Schulen, sondern auch im traditionellen chinesischen Löwentanz wieder. Bestimmte Löwenkostüme sind mit historischen Figuren assoziiert – und Guan Gong ist eine der wichtigsten davon.

Gemeinsam mit seinen beiden geschworenen Brüdern Liú Bèi und Zhāng Fēi aus der Zeit der Drei Reiche werden Farben und Charaktere auf die Löwen übertragen:

Rot-Schwarz steht für Guan Gong, Symbol für Loyalität, Stärke und Entschlossenheit.

Gold-bunt wird Liú Bèi zugeordnet, der für Weisheit und Wohlwollen steht. 

Schwarz-Grün steht für Zhāng Fēi, der für Mut und ungestüme Kraft bekannt ist.

Diese Farbcodierungen machen den Löwentanz zu mehr als nur einer akrobatischen Aufführung – sie transportieren Geschichte, Werte und Identität.

Auch bei uns hat diese Tradition ihren Platz gefunden: Unser neuester Löwe, den wir nach unserem Umzug im März feierlich eingeweiht haben, ist ein Guan Gong-Löwe. Mit seinem markanten schwarz-roten Kostüm verkörpert er nicht nur Kraft und Ausdruck, sondern auch die tiefe Verbindung zur chinesischen Kultur, die wir in unserer Akademie leben.

Eine Figur mit Haltung – nicht zum Anbeten, sondern zum Erinnern

Guan Gong ist kein Gott, der etwas verlangt. Er ist eine Figur, die uns etwas anbietet:

Einen Maßstab für Haltung. Eine Erinnerung daran, wer wir sein wollen – und was uns trägt.

In einer Zeit, in der vieles schnell, laut und oberflächlich geworden ist, bietet er genau das Gegenteil: Tiefe, Klarheit und Beständigkeit.

Über den Author

Pascal Wu

Pascal Wu leitet gemeinsam mit Christina Wu die Wushu Taichi Akademie und blickt auf knapp 30 Jahre Kampfkunst-Erfahrung zurück. Nach zahlreichen erfolgreichen Turnieren im modernen Sport-Wushu wandte er sich wieder dem traditionellen Kungfu zu. Sein Ziel ist die Weiterentwicklung der chinesischen Kampfkünste und die korrekte Vermittlung von praktischem Kungfu.

1 Kommentar

Hinterlasse deinen Kommentar

Ähnliche Beiträge

zum Blog