Diesen Blog-Beitrag gibt es auch als Podcast-Folge zu hören. Der Beitrag wird nicht nur vorgelesen, sondern ist eine lockere Unterhaltung zwischen Pascal Wu und Thorsten Berndt.
Podcast Beschreibung
Gaa Jau! ist der Kampfkunst-Podcast der Wushu Taichi Akademie aus Konstanz. Wir sprechen über die Kultur, Geschichte, Sprache, Tradition und Hintergründe der chinesischen Kampfkunst und geben einen neuen Blickwinkel darauf.
Die Kampfkunsttradition der Wushu Taichi Akademie reicht fünf Generationen zurück und sieht ihre Wurzeln in Guangzhou, Südchina. Seit 1986 unterrichten wir chinesische Kampfkunst und kantonesische Kultur in Konstanz am Bodensee, Deutschland.
Mehr Infos zur Wushu Taichi Akademie und der Kampfkunst der Familie Wu unter www.wushu.de
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In so gut wie allen Bereichen der Welt gibt es Machtkämpfe, Egotrips und Intrigen. Davon wird leider auch die Welt der Kampfkünste nicht verschont. Auch wenn sich die Familie Wu aus diesen Angelegenheiten bestmöglich raushält gibt es aber Situationen, bei denen man über den eigenen Schatten springen muss und für Gerechtigkeit einstehen muss.
In dieser Folge erzählen wir von einer brisanten Geschichte, die der Familie Wu sehr nahe geht und uns fast ein Jahr begleitete. Wir erzählen euch von einer Ehrung für unseren Sigung Wu Shaoquan, welche uns über 14 Jahre lang verschwiegen wurde. Wu Shaoquan ist der Vater von Sifu Wu Mei Ling und hatte Mitte der 1920er gemeinsam mit seiner Frau Xiao Yanzhen die erste Kampfkunstschule der Familie Wu in Guangzhou eröffnet. Für diese Ehrung wurde speziell ein Schild gefertigt.
Wie haben wir aber plötzlich von diesem Schild erfahren? Welchen Wert hat dieses Schild für die Familie Wu und unsere Schüler? Und können wir dieses Schild zurückholen? Jetzt anhören und erfahren, wie sich die Geschichte Stück für Stück entfaltet und Erstaunliches ans Licht bringt.
Gaa Jau! ist der Kampfkunst-Podcast der Wushu Taichi Akademie aus Konstanz. Wir sprechen über die Kultur, Geschichte, Sprache, Tradition und Hintergründe der chinesischen Kampfkunst und geben einen neuen Blickwinkel darauf.
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Wer die Familie Wu kennt weiß, dass wir uns sehr bedeckt verhalten und nicht gerne im Rampenlicht stehen. Die Familie Wu nimmt sich lieber selbst zurück, als mit ausgefahrenen Ellenbogen an Ruhm und Ehre zu gelangen.
Nun verhält es sich in der Kampfkunst-Szene ähnlich wie in nahezu allen anderen Bereichen des Sports: es gibt Machtkämpfe, Egotrips nach Ruhm und Ehre, und Intrigen um den politischen Kampf zwischen zwei Lagern für sich zu entscheiden. Am ehesten kennt man solche Situationen aus der Verbandsarbeit und der Politik.
Das ist nicht unsere Welt. Wir besitzen nicht die Muße und die Geduld um bei solchen Spielereien mitzumachen. Uns geht es um die Kampfkunst selbst und um unsere Schüler, welche von ganzen Herzen diese Kunst & Kultur lernen möchten.
In der folgenden brisanten Geschichte konnte sich aber die Familie Wu nicht länger zurückhalten, sondern musste aus Notwendigkeit handeln. Es geht lediglich um Gerechtigkeit für die Familie Wu.
Die Ehrung von der wir nichts wussten
Zentraler Gegenstand dieser Geschichte ist ein Schild, welches im Frühjahr 2021 unsere volle Aufmerksamkeit erlangt hat. Dieses Schild sieht genauso aus, wie chinesische Schilder, die zu Ehren einer Person oder Institution nun mal aussehen: ein hochglanzpoliertes Messingschild, befestigt auf einem walnussfarbigen Holzbrett mit gravierter Aufschrift. Man hat das Gefühl, dass sämtliche Jubiläen, Feste oder Ehrungen diese Schilder bei ein und derselben Firma bestellen.
Auf diesem Schild steht: „Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Guangzhou Wushu Association wird ein Ehrentitel für die Leistungen in der Kampfkunst an Wu Shaoquan verliehen.“
Soweit gibt es eigentlich nur Grund zum feiern und wir sollten uns glücklich schätzen, dass eine offizielle Assoziation unserem Sigung Wu Shaoquan so einen Ehrentitel verleiht. Leider bringt die letzte Zeile der gravierten Aufschrift uns alle zum Stutzen. Denn das Schild wurde bereits im Dezember 2007 (!) ausgestellt. Zum Zeitpunkt als wir das erste mal von diesem Schild erfahren haben (2021) sind also nunmehr 14 Jahre vergangen. Zurecht fragt man sich also: Wieso wussten wir nichts davon und wieso wurden wir nicht darüber informiert?
Wie das Leben so spielt: Zufall
Wie das Leben so spielt, haben wir von diesem Schild auch nur rein über einen Zufall erfahren. In China gibt es einen überaus populären Messenger-Dienst namens “WeChat“. In dieser App, welche gefühlt zu 99% aller Chinesen installiert haben, kann man ähnlich wie in Social Media Apps Ereignisse mit seinem Freundeskreis teilen. Diese Ereignisse können dann u. a. auch Freunde der Freunde sehen, ähnlich wie bei der Timeline von Facebook.
Im Frühjahr 2021 wurde ein Gruppenfoto auf einem Account gepostet, auf dem eine Gruppe Chinesen vor einer Wand voller Auszeichnungen und Pokale posiert. Die Person, welche das Foto teilte, scheint auch Teil der Kampfkunst-Szene in Guangzhou zu sein, da über mehrere Ecken mein ältester Onkel Wu Rungen auf dieses Foto gestoßen ist. So wie mein Onkel nunmal ist, nimmt er sich gerne alle Zeit der Welt, um Fotos solcher Auszeichnungen, Pokale und Ehrungen etwas genauer anzuschauen. Und siehe da, auf einem der Schilder erscheint der Name seines Vaters, unser Sigung Wu Shaoquan. Verständlicherweise war mein Onkel Rungen ebenso überrascht wie wir alle und er teilte dieses besagte Foto im Gruppenchat der Familie Wu.
Sofort kristallisieren sich drei wichtige Fragen hervor. Erstens möchten wir natürlich wissen, wo dieses Schild steht und in wessen Besitz es sich befindet. Zweitens wollen wir herausfinden, wieso wir 14 Jahre lang nichts davon wussten. Und zuletzt müssen wir erfahren, wieso dieses Schild nicht in den Händen der Familie Wu liegt.
Es ist doch nur ein Schild
Zunächst möchte ich zwei wichtige Punkte erläutern, bevor wir mit der Geschichte fortfahren. Natürlich wird die eine oder andere Person aus der westlichen Kultur sich fragen, wieso solch ein Schild so wichtig für uns ist. So ein Schild ist im Grunde genommen doch genau gleich wie eine Urkunde oder ein Pokal. Die sind schön zu haben, aber ob sie wirklich notwendig sind sei mal dahingestellt. Das ist völlig richtig. Wir präsentieren in unserer Akademie auch nicht dutzende Urkunden, Medaillen oder Pokale, weil sie, in unseren Augen, dem eigentlichen Training keinen Mehrwert bieten. Es ist Eyecandy, nicht mehr und nicht weniger. Nicht das Schild wird unsere Akademie und die Kampfkunst weiterentwickeln, sondern wir tun das mit unserem Training.
Dieses Schild hat aber seit unserer Entdeckung im Frühjahr 2021 einen sehr hohen Stellenwert für uns bekommen. Denn es ist das einzige (!) offizielle Dokument, welches unseren Sigung im Kontext der Kampfkunst und somit das Hung Kyun der Familie Wu anerkennt. Wir besitzen glücklicherweise viele alte Fotos, haben Erzählungen von Weggefährten und Schülern aufgezeichnet, Bücher von seinen Schülern haben ihn dutzende Male erwähnt, aber dieses Schild übertrifft im Wert dennoch alles andere. Sigung Wu Shaoquan lebte zu einer Zeit, in der China im Bürgerkrieg war und es viele Unsicherheiten gab. Dann wurde durch die Kulturrevolution vieles zerstört, unter anderem eben jene Dokumente, welche die Existenz unseres Sigung im Kontext der Kampfkunst anerkannten und bewiesen. Leider hat unsere Erblinie nicht das Glück wie andere Erblinien wie bspw. aus Hong Kong, wo man unzählige Fotos und Videos hat, Dokumente en masse und mehr. Der Großteil dieser Dokumentation wurde in der Kulturrevolution zerstört.
Daher hat ein Schild, welches die Leistungen unseres Sigung in der Kampfkunst anerkennt, einen sehr hohen Stellenwert. Da es von der Guangzhou Wushu Association ausgestellt wurde, ist also auch ein höchst respektabler und legitimer Aussteller vorhanden.
Außerdem gibt es einen weiteren Punkt, wieso dieses Schild so wertvoll ist. Da das Schild bereits 2007 ausgestellt wurde, unsere Sitai (Wu Shaoquan’s Witwe Xiao Yanzhen) aber erst 2012 gestorben ist, möchten wir wissen, wieso ihr zu Lebzeiten nicht davon berichtet wurde. Wie schön wäre es wohl gewesen, hätte sie diese Anerkennung ihres Mannes noch erleben können, der für sein Lebenswerk geehrt wurde.
Exkurs: Die Familie Wong*
*Familienname abgeändert
Als meine Großeltern Wu Shaoquan und Xiao Yanzhen ihre erste Schule in Guangzhou eröffneten, wohnte die Familie Wong nicht weit davon entfernt. Die Familie hatte drei Kinder, zwei ältere Söhne und eine junge Tochter. In jungen Jahren haben alle drei dieser Geschwister dann letztendlich auch bei meinen Großeltern mit Kungfu begonnen und wurden schnell in die Familie eingeschlossen. Die drei Geschwister wurden wie Mitglieder der Familie behandelt, waren bei allen möglichen Vorführungen und Ereignissen dabei. Die jüngste Schwester ist schnell als „Königin der Löwentanz-Trommel“ bekannt geworden, weil sie unglaublich gut, ja fast legendär, Kungfu- und Löwentanztrommel spielen kann. Der mittlere Bruder ist ein absolutes Ausnahmetalent im Kungfu gewesen und war später auch ein wichtiger Mentor unserer Sifu Wu Mei Ling. Er half auch bei der Reformation des Wushu als Leistungssport nach der Kulturrevolution, indem er maßgeblich dazu beitrug, wie traditionelle Südstile in modernes Nanquan einflossen. Er und sein Sohn waren auch bei der ersten Wushu-Tournee in Europa dabei, welche 1985 u. a. von Martin Rüttenauer organisiert wurde.
Der älteste Bruder der Geschwister Wong wurde dann mithilfe der Familie Wu später sogar Vorsitzender der Hung Kuen Association in Guangzhou und eröffnete dann nach dem Tod seines Bruders auch eine eigene Schule und präsentierte sich gerne als Erbe von Wu Shaoquan.
Die Suche nach einem Dialog
Nachdem wir von diesem Schild erfahren haben, hat sich glücklicherweise mein jüngster Onkel Wu Runman dieser Sache angenommen und es sich zur Aufgabe gemacht, das Schild ausfindig zu machen. Über mehrere Ecken haben sich die Spuren verdichtet und es schien, als würde es in der Schule des ältesten Bruders Wong hängen. Nun wäre somit die erste wichtige Frage geklärt, und wir hatten herausgefunden wo es sich befindet und in wessen Besitz es ist.
Nun hat mein Onkel Wu Runman mehrere Versuche gestartet, um mit Herr Wong über diese Angelegenheit zu sprechen und eine zivile und faire Lösung zu finden, bei der sogar ein Mediator mithalf. Da wir zu diesem Zeitpunkt keineswegs von Böswilligkeit ausgegangen sind, wollten wir einen freundlichen und offenen Dialog eröffnen. Daher waren wir höchst überrascht, mit welchem Unverständnis und Hass mein Onkel konfrontiert wurde. Zunächst wurde uns mit hämischen Ton vorgeworfen, dass wir doch „überhaupt keinen Ort hätten das Schild aufzuhängen, selbst wenn wir das Schild mitnehmen würden.“ Zu deutsch ohne chinesisch-kulturellen Kontext heißt das, dass wir doch seit 1986, das Jahr in dem Sifu Wu Meiling nach Deutschland auswanderte, keine Schule mehr in Guangzhou leiteten und dadurch unseren Anspruch auf jegliche Kampfkunst-relevanten Ereignisse abgelegt haben. In anderen Worten wird uns fehlende Repräsentanz in Guangzhou vorgeworfen und zugleich wird unsere Schule in Konstanz, die seit 1986 existiert und weiter die Kampfkunst der Familie Wu lehrt, nicht als Fortführung der Familientradition anerkannt.
Neben dieser und anderen hämischen Anschuldigungen wurde dann aber mit folgendem eine klare Grenze überschritten. Im dritten Gesprächsgesuch wurde dann mein Onkel von Herr Wong wüst beschimpf und Herr Wong sagte:„Ihr habt keinen Anspruch auf das Schild, weil ihr schon lange nicht mehr in Guangzhou tätig seid. Ihr habt keine Schule in Guangzhou und somit keinen Anspruch darauf. Wieso interessiert euch dieses Schild denn, wenn ihr seit Jahrzehnten im Ausland tätig seid? Wenn euch die Kampfkunst-Szene in Guangzhou interessieren würde, hättet ihr eure Mutter nicht ins Meer geschmissen.“
Nun…
Jemand, der nicht mit der chinesischen Kultur vertraut ist wird diesen respektlosen Umgang vielleicht nicht weiter kümmern. Aber im Kontext der chinesischen Kultur sind solche Anschuldigungen mit das Schlimmste, was man sagen kann. Hierbei handelt es sich nicht einmal um einen Europäer, der aus Ignoranz etwas falsches sagt. Hier sprach ein Chinese, der sich dem kulturellen Kontext und der Schwere dieser Anschuldigung vollkommen bewusst ist.
Er verunglimpft dadurch den letzten Wunsch unserer Sitai, dass ihre Asche im Meer verteilt werden soll. Aber was muss mit jemandem geschehen sein, wenn er so über jemanden spricht, den er einst Simou, also Lehrmutter, nannte? Dabei darf man nicht vergessen, dass er derjenige ist der die Existenz dieses Schild seiner ehemaligen Simou zu Lebzeiten nicht mitteilte!
Ruhm, der nicht hätte sein sollen
Bis heute verstehen wir nicht, wieso Herr Wong so verbissen auf das Schild war und uns derart respektlos behandelte. Ist ihm lediglich der Ruhm zu Kopf gestiegen? Oder wieso würde man derart die direkten Nachfahren des eigenen Lehrers beleidigen?
Dabei hat Herr Wong auch erst nach dem Tod seines Bruders, dem eigentlichen Kungfu-Hochtalent, seine Karriere im Kungfu begonnen. Mithilfe meines Onkels Wu Rungen wurde er zeitweise zum Vorsitzenden der Guangzhou Hung Kyun Association ernannt, eröffnete eine eigene Schule und nahm unzählige Schüler auf, um die er mit dem Namen meines Großvaters warb. Aber hier übersehen viele ein äußerst wichtiges Detail, denn Herr Wong wurde gar nicht formal als Schüler von meinem Großvater angenommen. Herr Wong begann seine formale Kungfu-Ausbildung nämlich beim Bruder meines Großvaters, Wu Can. Nur der jüngere Bruder und die jüngste Schwester waren formal aufgenommene Schüler meines Großvaters.
Herr Wong, der älteste Bruder, ist somit nicht mal direkter Schüler von Sigung Wu Shaoquan. Er begann sein Training bei ihm erst, nachdem Wu Can seine Schule geschlossen hatte.
Nachdem nun die Gesprächsgesuche zu keinem Ergebnis führten, wendete sich mein Onkel an die Hung Kyun Association, welche das Schild 2007 ausgestellt hatte. Deren Vorsitzender war absolut fassungslos, als er hörte, was mein Onkel vom bisherigen Geschehen erzählte. Er setzte sich ein und schrieb eine öffentliche Verwarnung der Association, welche direkt an Herr Wong gerichtet war. In dem Brief wurde Herr Wong beschuldigt, die Schilder (ja, plural) böswillig im Besitz zu behalten und seiner Simou, Xiao Yanzhen, zu Lebzeiten die Existenz der Schilder verschwiegen hat. Die Verwarnung schloss mit einer Fristsetzung an Herrn Wong, innerhalb von 30 Tagen die Schilder zurückzugeben.
Die Schilder? Plural? Richtig gelesen, denn Herr Wong besaß nicht nur ein Ehrenschild für meinen Großvater Wu Shaoquan, sondern auch eines für seinen eigenen Bruder! Dieser ist übrigens erst ein halbes Jahr nach der Ausstellung der Schilder verstorben und seine hinterbliebene Familie wusste bis zu jenem Verwarnungsbrief nichts von dieser Ehrung…
Mit diesem öffentlichen Verwarnungsbrief ist ein Rufschaden wohl unumgänglich, denn spätestens mit diesem Schreiben wusste die Kampfkunst-Szene in Guangzhou über diese Angelegenheit Bescheid.
Der letzte Weg
Nach Ablauf der Frist aus dem Verwarnungsbrief ist, wie erwartet, nichts geschehen. Zu diesem Zeitpunkt ist diese Angelegenheit in der Kampfkunst-Szene in Guangzhou in aller Munde und spricht sich herum. Wir wollten ja nur diese Ehrung unseres Sigung einholen, aber dass wir ausgerechnet von bekannten Wegbegleitern so behandelt werden, hätten wir nicht erwartet.
Nach sorgfältigem Abwägen und Gesprächen mit Beratern entschieden wir uns, nun den Rechtsweg einzuschlagen. In diesem letzten Schritt versuchen wir also, die Herausgabe der Schilder einzuklagen. Allein die Vorbereitungen für dieses Verfahren waren eine eigene Odysee, denn es waren unzählige Dokumente und weitere Erklärungen mehrerer Familienmitglieder notwendig, um überhaupt die Klage anzusetzen. Unter anderem war auch eine Abstammungsurkunde von Mei Ling, ihren Brüdern und deren Vater Wu Shaoquan nötig, welche aber nicht mehr aufzufinden war. Doch bevor alles zu scheitern drohte, erinnerte sich mein Vater Martin Rüttenauer noch an sein Archiv. Denn zur Hochzeit mit Wu Meiling waren auch dutzende Dokumente nötig, unter anderem lag dann glücklicherweise eine Kopie dieser Abstammungsurkunde noch bei!
Das Verfahren selbst wurde zum Glück sehr bald durchgeführt. Die Richter entschieden klar zu Gunsten der Familie Wu und forderten nun, dass das Schild innerhalb einer gesetzten Frist herausgegeben wird. Soweit so gut, wenn es doch nur dieses Schild „noch gäbe“…
Denn Herr Wong hat plädiert, gar nicht mehr im Besitz dieses Schildes zu sein und dass eine Herausgabe daher unmöglich sei. Das Gericht entschied daraufhin, dass die Hung Kyun Assoziation in Guangzhou neue Schilder auf Kosten von Herr Wong in Auftrag gibt: Eines für die Familie Wu und eine Kopie für die Hung Kyun Assoziation in Guangzhou. Zusätzlich soll Herr Wong eine förmliche Entschuldigung schreiben und in der Zeitung veröffentlichen! Man kann sich denken, was das im kulturellen Kontext heißen mag. Den Gnadenstoß bringt aber der letzte Punkt des Gerichtsentscheids: Sollte Herr Wong in Zukunft dennoch dieses „verlorene“ Schild wieder zeigen, droht ihm eine Haftstrafe…
Auf der Zielgeraden
Seit Beginn dieser Sache war gut über ein Jahr vergangen, ehe wir damit abschließen konnten. Dieses Jahr war eine emotionale Achterbahn, begleitet von bitteren Überraschungen. Zwar können wir den Moment kaum abwarten, das Schild in den eigenen Händen zu halten aber dennoch wird man einen bitteren Beigeschmack nicht los.
Der größte Schock den wir alle verarbeiten mussten ist wohl, dass jemand, den man über Jahrzehnte als Wegbegleiter schätzte und wie ein Familienmitglied behandelte, einem so in den Rücken fallen kann. Ich selbst kenne Herr Wong ja auch aus dutzenden Besuchen in Guangzhou, von Festen, von Treffen und aus persönlichen Gesprächen.
Dass uns dann wohl aus egoistischen Gründen so ein wertvoller Gegenstand verheimlicht wird ist tatsächlich nicht ganz zu begreifen.
Am 28.12.2021 hat bei einem Treffen mein Onkel Wu Runman dann endlich ein neues Schild von der Hung Kyun Assoziation überreicht bekommen. Gleich danach ließ mein Onkel es sich nicht nehmen das Schild sofort zu seinem älteren Bruder Wu Rungen zu bringen und ihm zu zeigen.
Bedingt durch die Reiseeinschränkungen der Pandemie mussten wir, diejenigen in Konstanz, tatsächlich erst bis Frühjahr 2023 warten ehe wir das Schild persönlich mitbringen durften.
Im Rahmen unseres jährlichen chinesischen Neujahrsfest haben wir gemeinsam mit vielen Schülern dann dieses Schild auch in unserer Akademie aufgehängt. Hierfür wurde eine besonderer chinesischer Löwentanz vorgeführt und ein paar sehr enge Kungfu-Schüler haben dann dieses Schild zeremoniell eingeweiht.
Das Schild, welches unseren Sigung Wu Shaoquan ehrt, hängt nun an einem würdigen Ort. Es hängt in der Wushu Taichi Akademie in Konstanz, welche Wu Meiling gemeinsam mit Dr. Martin Rüttenauer 1986 eröffnete, und die nun von Christina und Pascal Wu weitergeführt werden. Hier ist das Schild endlich zu Hause.
1 Kommentar
Urs Krebs
Endlich ist das Schild da, wo es hin gehört: Bei der Wu-Familie, welche die Hung Kyun-Linie von Sigung Wu Shaoquan seit je her repräsentiert und sein Hung Kyun auch in Zukunft weitergeben wird.